Iran: Ein Land im Rausch, ein Volk auf Dröhnung

Im Iran ist Drogenkonsum verboten, auf Drogenhandel steht die Todesstrafe. Laut offizieller Statistik gibt es kaum Abhängige. Doch die Realität sieht anders aus. Experten schätzen, dass der Iran sogar eine traurige Spitzenposition in der Welt einnimmt – trotz drakonischer Strafen.

Von Reinhard Baumgarten, ARD-Hörfunkkorrespondent Teheran

Feran war 16 oder 17, als er mit Haschisch angefangen hat. Dann ging er über zu Opium. Zwei Jahre lang hat er das Zeug geraucht, nur ab zu, wie er sagt. Dann machte er Bekanntschaft mit Crack, und er stürzte gnadenlos ab. Heute ist Feran Mitte 20. Er will seine Sucht in den Griff kriegen und sucht nach einem Neuanfang. Ärzte sollen ihm dabei helfen.

„Ich war kein guter Mensch und habe viele schlechte Sachen gemacht, das weiß auch mein Arzt“, erzählt Feran. „Ich habe Scheiß gebaut. Einmal hab ich ein gefrorenes Huhn aus dem Tiefkühler geklaut, um vom Dealer Stoff zu bekommen. Mann, ich musste den richtig anflehen, damit der das nimmt.“

Audio: Ein Volk im Rausch? Drogenhandel im Iran

AudioReinhard Baumgarten, ARD-Hörfunkstudio Istanbul16.01.2012 00:27 | 5’03

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Offiziell zwei, inoffiziell acht, tatsächlich wohl eher 15 Prozent

Offiziell seien im Iran nur zwei Prozent der Bevölkerung drogenabhängig, erklärt Dr. Ashkon Reza (Anm. d. Red.: Alle Namen in diesem Beitrag sind geändert). Ärzten und Kliniken gegenüber sprächen die zuständigen staatlichen Behörden aber von acht Prozent. Der Iran stünde damit weltweit noch vor Pakistan an erster Stelle der Drogenabhängigkeit. „Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass die Zahl höher ist als acht Prozent“, so Reza. „Ich vermute, sie liegt zwischen 14 und 15 Prozent.“ In diesen Statistiken seien Konsumenten, die aus Spaß und nur gelegentlich Drogen nehmen, nicht berücksichtigt.

Teheran (Foto: picture-alliance / picture-allia)Großansicht des BildesEin Erkärungsversuch: „Stressgesellschaft“. 15 Millionen Menschen leben allein im Großraum Teheran.Ein Land im Rausch, ein Volk auf Dröhnung. Viele Faktoren tragen dazu bei, dass im Iran so viele Menschen zu Crack, Opium, Haschisch und der Designerdroge Crystal greifen. Dr. Reza leitet im Westen Teherans ein nichtstaatliches Reha-Zentrum. Er spricht von der „Stressgesellschaft Iran“. Zwei Drittel der rund 75 Millionen Einwohner Irans sind nach der Revolution von 1979 geboren worden. Deutlich über 60 Prozent leben in Städten, über 15 Millionen allein im Großraum Teheran-Karaj.

Die Islamische Republik hat viele Probleme

Und Teheran wächst und wächst. Die Bevölkerung ist jung, sie ist kreativ, sie ist duldsam – zumindest an der Oberfläche. Wie es heute in den Herzen und Köpfen jener aussieht, die im Sommer 2009 als so genannte Grüne Bewegung millionenfach auf die Straßen gegangen sind, lässt sich nur erahnen. Politik ist kein Thema für Irans Jugend – zumindest nicht an der Oberfläche.

Die Islamische Republik mit ihrer extrem jungen Bevölkerung hat viele Probleme: hohe Jugendarbeitslosigkeit, schwaches Wirtschaftswachstum, niedrige Produktivität, wachsende soziale Spannungen – und Restriktionen, sagt die Psychiaterin Avisa Mohamedian. „Die sozialen Probleme im Iran sind sicher ein Faktor für den hohen Drogenkonsum“, erklärt sie. „Unsere Jugend weiß aber auch nicht, wie sie ihre Freizeit nutzen kann, oder wie sie Spaß haben kann. Das spielt auch eine große Rolle.“

„Stoff zu besorgen ist leichter, als ein Eis zu kaufen“

Afghanische Polizei beschlagnahmt Drogen in Herat (Foto: picture alliance / dpa)Großansicht des BildesDer Iran grenzt an das wichtige Erzeugerland Afghanistan. Den Behörden dort gelingt eher selten ein solcher Erfolg gegen den Schmuggel, wie hier in Herat, wo Opium beschlagnahmt wurde.Hinzu kommt die geographische Nähe zu den wichtigen Erzeugerländern Afghanistan und Pakistan. Der iranische Markt mit seinen fünf bis zehn Millionen Drogenabhängigen wird mit billigem Stoff überschwemmt. „Wenn ich ein Taxi nehme, kann ich jeden Stoff in fünf Minuten besorgen“, erzählt ein Drogenkonsument. „Ich kenne die Dealer. Stoff zu besorgen ist im Iran wahrscheinlich leichter, als ein Eis zu kaufen.“ Der Preis von Crystal ist inzwischen sehr stark gefallen. Als es neu auf dem Markt war, kostete es 60 bis 80 Dollar pro Gramm. Heute kann es schon für sechs Dollar beschafft werden.

Ein regelrechter Krieg an den Grenzen zu Afghanistan und Pakistan

Der Iran, so versichert der oberste Drogenfahnder des Landes, Mohammad-Masoud Zahedian, gehe massiv gegen Rauschgifthandel und -schmuggel vor. Allein 2010, seien knapp 430 Tonnen Narkotika beschlagnahmt worden. An den Grenzen zu Afghanistan und Pakistan tobe ein regelrechter Krieg. In den vergangenen Jahren, so betont Zahedian, seien rund 4000 Sicherheitskräfte im Kampf gegen Drogenschmuggler getötet und 12.000 verletzt worden. Der Iran habe über 800 Millionen Dollar für die Errichtung von Barrieren und die Installation elektronischer Überwachung ausgegeben. Die internationale Gemeinschaft habe sein Land mit bescheidenen zwei Millionen Dollar unterstützt.

Yuri Fedotov, Chef der UN-Drogenbehörde  (Foto: dapd)Großansicht des BildesDer Chef der UN-Drogenbehörde betont die Bedeutung des Iran beim Kampf gegen Drogenschmuggel.Die UNO würdigt den Kampf des Iran gegen den Drogenschmuggel. Das Land, so Yuri Fedotov, Chef der UN-Drogenbehörde UNODC, sei unverzichtbar bei der Sicherstellung von Drogen. Der Iran ist eines der wichtigsten Transitländer. Jede Tonne Rauschgift, die dort vernichtet oder konsumiert wird, landet nicht in Europa oder Amerika. Wohl deshalb drücken viele im Westen ein Auge zu, wie der Iran mit Schmugglern verfährt.

Auf Drogenhandel steht in der Islamischen Republik die Todesstrafe. Vergangenes Jahr wurden laut der Menschenrechtsorganisation amnesty international 500 Menschen wegen Drogendelikten hingerichtet. Doch trotz aller Anstrengungen bekommt die iranische Führung das Problem nicht in den Griff. Drakonische Strafen und religiöse begründete Verbote, mutmaßt Dr. Reza, reichen offenbar nicht aus.

Es fehlt das Bewusstsein, woran die Gesellschaft krankt

In seinem Drogenberatungszentrum im Westen Teherans könnten zwar die Symptome, aber nicht die Ursachen einer tiefen gesellschaftlichen Krise angegangen werden. „Wir können nur begrenzt helfen. Es gibt einen Sozialarbeiter in unserer Klinik. Aber was kann er für einen Drogenabhängigen tun, wenn der einen Job braucht? Die ganze Gesellschaft muss helfen, aber hier fehlt die soziale Unterstützung“, so Reza.

Es fehlt ein Konzept; es fehlt eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die Jobs und Zukunftsperspektiven schafft; und es fehlt ein modernes Problembewusstsein dafür, woran die Gesellschaft der Islamischen Republik Iran krankt.

Quelle: ARD

Veröffentlicht am 16. Januar 2012 in Empfehlungen, Gesetze, Medien, Meinungen, Politik, Wirtschaft und mit , , , , , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Kommentare deaktiviert für Iran: Ein Land im Rausch, ein Volk auf Dröhnung.

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